Weißer Mann fällt

Mike Stocks

(White Man Falling, Roman), Diaphanes Verlag, Zürich/Berlin (2010)

Spirituelle Komödie in Südindien: Dorfpolizist wird Guru wider Willen

„Der grausliche Anblick von Anands Bruder Mohan ruiniert leider trotz des freudigen Anlasses die Stimmung. Mohan strahlt den geballten Lebensfreude-Quotienten eines Depressionskranken aus, der ein blökendes Zicklein durch einen Stall voll verhungerter Tiger führen muss, und der normalerweise stets umgängliche Mr. P, dessen Wutausbrüche meist nur aus einem kurzen Verzweiflungsanfall bestehen, bevor er wieder die Leutseligkeit in Person ist, hat die Nase voll. ‚Wir brauchen eine Lösung, und zwar sofort!‘, ruft er aus. ‚Die machen sich über uns lustig!‘, brüllt er.“

„‚Dumme Gedanken hat jeder, nur der Weise verschweigt sie.‘ Wilhelm Busch wusste genau, wie klug man wirkt, wenn man einfach nur im richtigen Moment die Klappe hält. Spricht man hingegen monatelang gar nicht mehr, gilt man entweder als bekloppt oder als Heiliger, der mit sich, Gott und der Welt im Reinen ist. Zwischen Blödigkeit und Erhabenheit liegt für die, die einem nicht in den Kopf schauen können, nur ein schmaler Grat. Dank Mike Stocks erfahren wir allerdings ganz genau, was sich im Oberstübchen des ehemaligen Polizeiunterwachtmeisters R. M. Swaminathan, genannt Swami, abspielt – es ist nicht allzu aufregend. Die Hauptfigur von Stocks’ Debütroman Weißer Mann fällt, angesiedelt in einem fiktiven südindischen Dorf, hat es alles andere als leicht im Leben. Er ist der Vater von sechs pfiffigen Töchtern, die unter die Haube zu bringen eine kostspielige Angelegenheit ist. Als Patriarch ist er eine Null, zerquetscht unter dem Pantoffel seiner geschwätzigen, etwas klischeehaft überzeichneten Gattin.

Seit einem Schlaganfall leidet er zudem unter Sprachschwierigkeiten, zu sagen hat er daheim ohnehin nicht viel. Selbst die letzte Möglichkeit, sich seiner Verantwortung als Familienoberhaupt zu entziehen, bleibt ihm verwehrt; seine grotesken Selbstmordversuche schlagen allesamt fehl. Als ihm dann jedoch aus heiterem Himmel ein weißer Mann vor die Füße fällt und stirbt, nimmt sein Schicksal eine überraschende Wendung.

Mike Stocks, der 1965 geborene britische Autor, spielt seinem Protagonisten übel mit und meint es doch gut mit ihm. Er lässt ihn beinahe zum Opfer eines Mordanschlages werden, verwickelt ihn in eine kriminalistische Intrige früherer Kollegen und nimmt ihm nach einer Nahtoderfahrung nahezu komplett die Sprache. Swamis beredtes Schweigen führt indes dazu, dass er von der Außenwelt alsbald als Guru wahrgenommen wird, auf den sich allerlei Hoffnungen und Wünsche projizieren lassen.“

Alexander Müller, FAZ, 10.03. 2010, Zufall gibt’s nicht: Erlösung auf indisch